Spannungsbandproblem


Struktur eines Verteilungsnetzes

In der konventionellen Energieversorgung wird die Energie hauptsächlich durch Großkraftwerke bereitgestellt. Diese speisen in die Hoch- und Höchstspannungsebene ein. Von dort wird die Energie über die Verteilungsnetze an die Endkunden verteilt. Die Hauptaufgabe des Verteilungsnetzes ist bzw. war also, wie der Name schon sagt, die Verteilung der elektrischen Energie. Dazu ist das Verteilungsnetz u. a. auf die maximal mögliche Leistung auszulegen ohne die thermischen Belastungsgrenzen und die zulässigen Spannungstoleranzen zu überschreiten. Abbildung 1 zeigt eine typische Struktur eines Verteilungsnetzes.

Abbildung 1: Typische Struktur eines Verteilungsnetzes
Abbildung 1: Typische Struktur eines Verteilungsnetzes

Der tageszeitlich und saisonal unterschiedliche Verbrauch der Stromkunden ruft variierende Lastflüsse hervor, die wiederum entsprechend schwankende Spannungsfälle über den Betriebsmitteln verursachen. Foglich würde auch die Spannung beim Endkunden schwanken. Dies war schon zu Beginn der Elektrifizierung als Problem erkannt worden. Ende der 1920er Jahre wurde schließlich das Konzept zur automatischen Spannungsregelung mit den entsprechenden Komponenten entwickelt, welches bis heute weltweit eingesetzt wird. Dieses Konzept beinhaltet eine Zweiteilung der Regelungsaufgabe.

Die grundsätzliche und durchdringendste Spannungsregelung erfolgt über sog. Regeltransformatoren mit Laststufenschaltern. Diese verändern unter Last das Übersetzungsverhältnis der Transformatoren. Weil zwischen den verschiedenen Spannungsebenen sowieso Umspann-Transformatoren benötigt werden, kann damit in den unterlagerten Spannungsebenen sehr kostengünstig und nahezu verlustfrei ein bestimmtes Spannungsniveau gehalten werden.

Im Übertragungsnetz sind dagegen nur an wenigen Stellen sog. Netzkuppeltransformatoren vorhanden. Diese regeln zwar auch die Spannung, die relativ wenigen Stellen reichen aber nicht aus, um in allen Belastungsfällen ein wünschenswertes Spannungsniveau im Höchstspannungsnetz zu erzielen. Da sich ein Einbau von zusätzlichen Regeltransformatoren zur Spannungsregelung nicht lohnen würde, wurde von Anfang an auf dieser Ebene die Spannung über die Blindleistung geregelt. In den unterlagerten Spannungsebenen wurde dagegen die Spannungs-Blindleistungsregelung nur in Ausnahmefällen oder Extremsituationen eingesetzt. Standardmäßig wird dort – wie gesagt – die Spannung über Regeltransformatoren eingestellt.


Lastfluss

In der konventionellen Elektrizitätsversorgung sind die Leistungsflüsse nahezu ausschließlich vom Hochspannungsnetz (HS-Netz) über das Umspannwerk (UW) in das Mittelspannungsnetz (MS-Netz) und von dort über die Ortsnetztransformatoren (ONT) in das Niederspannungsnetz (NS-Netz) gerichtet. Deshalb ergeben sich entsprechende Spannungsabfälle auch nur in diese Richtung. Dies hat es den europäischen Netzbetreibern seit jeher erlaubt, die letzte Instanz der Spannungsregelung auf den UW-Transformator zu begrenzen und im Bereich der Ortsnetzstationen (ONS) ungeregelte Transformatoren einzusetzen. Die Niederspannungsnetze sind also spannungsmäßig starr an das MS-Netz gekoppelt. Dadurch muss das zulässige Spannungsband von ±10 %, welches für die MS- und NS-Ebene über die zulässigen Spannungstoleranzen in den Normen [1-2] definiert ist, gemeinsam auf das Mittel- und Niederspannungsnetz aufgeteilt werden. Verständlicherweise wurde das gesamte Spannungsband von 20 % hauptsächlich für den Lastfall verwendet. Erzeugungsanlagen (EZA) am MS- und NS-Netz waren ja die Ausnahme. Deshalb wurde für die von ihnen verursachte Spannungsanhebung nur 2 % reserviert. Teilweise durften die Verteilungsnetzbetreiber (VNB) diese Grenzen sogar noch einschränken.

Bedingt durch die Energiewende nimmt die Anzahl der EZA im Verteilungsnetz jedoch stetig zu. Heute stehen für die Einspeisungen aus EZA ins Niederspannungsnetz gemäß der Richtlinie [3] 3-%-Punkte zur Verfügung. Weitere 2-%-Punkte sind für die EZA am Mittelspannungsnetz reserviert [4]. Die restlichen 15 % werden für die Spannungsabfälle auf den Mittel- und Niederspannungsleitungen und über die Ortsnetztransformatoren sowie die Ungenauigkeit des Spannungsreglers im Umspannwerk, als Reserven für Spannungsunsymmetrien sowie Fertigungstoleranzen der eingesetzten Ortsnetztransformatoren und sonstigen Betriebsmittel benötigt.


Aufteilung des Spannungsbandes im Verteilungsnetz

Abbildung 2: Beispielhafte Aufteilung des Spannungsbandes innerhalb des Verteilungsnetzes ohne regelbaren Ortsnetztransformator
Abbildung 2: Beispielhafte Aufteilung des Spannungsbandes innerhalb des Verteilungsnetzes ohne regelbaren Ortsnetztransformator

Abbildung 2 zeigt eine beispielhafte Aufteilung des Spannungsbandes im Verteilungsnetz. Dargestellt sind die Spannungsprofile entlang der beiden auslegungsrelevanten MS- und NS-Leitungsstränge des Musternetzes aus Abbildung 1 bei maximaler Belastung (Starklast) ohne dezentrale Einspeisung sowie bei maximaler Einspeisung ohne Verbrauchslasten bzw. Schwachlast.

Der Spannungsbandbereich von ±10 % teilt sich in diesem Beispiel wie folgt auf:

 \begin{tabular}{rl} 2 \% & für die Reglerhysterese des Stufenschalters im Umspannwerk \\ 5 \% & Spannungsfall auf den MS-Leitungen \\ 3 \% & Spannungsfall im Ortsnetztransformator und sonstigen Fertigungstoleranzen\\ 5 \% & Spannungsfall auf den NS-Leitungen \\ 2 \% & Spannungsanhebung für Erzeugungsanlagen am MS-Netz \\ 3 \% & Spannungsanhebung für Erzeugungsanlagen am NS-Netz \\ \end{tabular}

Mit Ausnahme der letzten beiden Punkte ist die quantitative Aufteilung nicht geregelt und damit von jedem Verteilnetzbetreiber (VNB) individuell gestaltbar.
Die Reglerhysterese des Umspannwerktransformators stellt das Totband dar, innerhalb dem sich Schwankungen aus dem Hochspannungsnetz in das Verteilungsnetz übertragen können. Sie ergibt sich aus der eingestellten Reglerbandbreite und beträgt meistens ±1 % um den Sollwert.


Planung und Netzauslegung

Für den Spannungsfall auf den MS- und NS-Leitungen planen die meisten Netzbetreiber jeweils etwa 5-%-Punkte ein. Ebenso ist der Spannungsfall über den Ortsnetztransformatoren zu berücksichtigen. Abhängig von ihrer relativen Kurzschlussspannung können sich bei Nennbelastung Werte von 4 bis 6 % ergeben. Da der Spannungsfall über den Ortsnetztransformatoren nahezu nur induktiven Charakter hat und damit geometrisch fast senkrecht zu den Spannungsabfällen auf den Leitungen steht, wird ein Spannungsbandverlust von nur etwa 0,5 % bis 0,8 % bei Bemessungslast wirksam (siehe Zeigerbilder in „Lösungsmöglichkeiten“). Diese 0,5 % bis 0,8 % müssen jedoch sowohl im Last- als auch Rückspeisefall angesetzt werden. Bei kurzfristig höheren Transformatorbelastungen nimmt dieser Spannungsfall entsprechend zu. Sind beispielsweise EZA-Leistungen in Höhe von 150 % der Transformatorbemessungsleistung angeschlossen, muss mit einem Spannungsfall von 0,75 bis 1,2 % über dem Transformator gerechnet werden.

 

Des Weiteren ist zu beachten, dass das Übersetzungsverhältnis der Ortsnetztransformatoren Ungenauigkeiten aufweist und nur in diskreten Stufen durch den Umsteller verändert werden kann. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn eine individuelle Anpassung der Spannungsbandaufteilung auf die unterlagerten Niederspannungsnetze vorgenommen wird. Darüber hinaus überlagert sich die Ungenauigkeit der Spannungsmessung für die Regelung des Umspannwerktransformators. Für die Summe dieser Ungenauigkeiten und den wirksamen Spannungsfall über die Transformatoren wurde in Abbildung 2 ein Wert von 3 % angesetzt und dieser je zu Hälfte auf den Last- und Rückspeisefall aufgeteilt. Manche Netzbetreiber bezeichnen diese genannten Punkte allgemein als Messungenauigkeiten.


Spannungsbandbetrachtung

Grundsätzlich ist noch zu berücksichtigen, dass Lasten und ein- oder zweiphasige Netzanschlüsse von PV-Anlagen zu entsprechenden Spannungsunsymmetrien führen und bei der Spannungsbandbetrachtung berücksichtigt werden müssen. In einem Strang mit vielen kleinen PV-Anlagen kann deswegen bereits bei relativ kleiner Gesamtleistung die zulässige Spannungsanhebung erreicht werden. Von einem statistischen Ausgleichseffekt kann i. d. R. nicht ausgegangen werden. Selbst an der Sammelschiene am Ausgang des Ortsnetztransformators wurde im Rahmen von Feldmessungen in Larrieden eine Unsymmetrie der Phasenspannungen von bis zu 1,3 % der Nennspannung festgestellt. Im Mittel betrug sie jedoch nur 0,2 %. Diese Unsymmetrien sind eigentlich bei den anzusetzenden Leistungen abzubilden und müssen damit nicht explizit bei der Spannungsbandaufteilung ausgewiesen werden. Dennoch weisen einige Netzbetreiber für die Unsymmetrien separate Freiräume im Spannungsband aus, um die Verbrauchslasten und Einspeisungen selber als symmetrisch für die Netzberechnung ansetzen zu können.


Rückspeisungen aus dem NS-Netz

Darüber hinaus gilt es einen weiteren wichtigen Aspekt zu beachten. Die Einspeisungen in der NS-Ebene übersteigen teilweise schon den lokalen Bedarf, so dass es verstärkt zu Rückspeisungen aus dem NS-Netz im entsprechenden MS-Strang kommt und dort ebenfalls zu einer Spannungsanhebung führt. Diese ist in den 2-%-Punkten gemäß der MS-Richtlinie [4] nicht explizit enthalten. Im Endeffekt stehen also mehr als die 5-%-Punkte des Spannungsbandes für die EZA zur Verfügung. In Abbildung 2 ist die Spannungsanhebung durch die Rückspeisung aus den NS-Netzen nicht ausgewiesen. Sie müsste durch den VNB durch Verringerung seiner eingeplanten Spannungsabfälle für den Lastfall berücksichtigt werden.

Eine Anhebung der Spannung um 2 bzw. 3 % wird selbst bei gleichmäßigem dreiphasigen Anschluss schon bei Einspeiseleistungen erreicht, die deutlich unter der Übertragungskapazität der MS- und NS-Leitungen liegt. An einem beispielhaften Niederspannungskabel (500 m, 150 mm²) könnte man am Kabelende gerade mal 46 kW Einspeiseleistung anschließen, damit ein Spannungshub von 3 % nicht überschritten wird. Das entspricht nicht einmal 25 % der Leistung, die über das Kabel dauerhaft transportiert werden könnte. Dieses Anschauungsbeispiel macht deutlich, dass derzeit die Aufnahmefähigkeit von dezentralen Einspeisungen im Verteilungsnetz stark von der resultierenden Spannungsanhebung eingeschränkt wird. Mit Blick auf die Bemessungsleistungen der Netzbetriebsmittel könnte man weit mehr EZA sowohl im Nieder- als auch im Mittelspannungsnetz integrieren. Und genau hier setzen der regelbare Ortsnetztransformator und die anderen Alternativen zum Netzausbau an.


Quellen

[1] „DIN EN 50160:2011-02, Merkmale der Spannung in öffentlichen Elektrizitätsversorgungsnetzen; Deutsche Fassung EN 50160:2010 + Cor. :2010“. Beuth, Feb-2011
[2] „DIN EN 60038:2012-04; VDE 0175-1:2012-04, CENELEC-Normspannungen (IEC 60038:2009, modifiziert); Deutsche Fassung EN 60038:2011“. Beuth, Apr-2012.
[3] VDE, Hrsg., „VDE-AR-N 4105 Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz- Technische Mindestanforderungen für Anschluss und Parallelbetrieb von Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz“. VDE VERLAG GmbH, Jan-2013.
[4] BDEW, Hrsg., „Technische Richtlinie Erzeugungsanlagen am Mittelspannungsnetz- Richtlinie für den Anschluss und Parallelbetrieb am Mittelspannungsnetz“. Juni-2008.